NOVECENTO
Foto: Johann Gaab
Auf dem Land passieren die erstaunlichsten Dinge. Da baut sich
einer aus freien Stücken fernab vom staatlich, regional, kommunal oder
sonst wie subventionierten Kulturbetrieb nach eigenen Plänen sein
eigenes Theater, und das weitgehend mit seinen eigenen Händen. Die
Adresse: 83253 Rimsting, Rosenstraße 1. Das Gebäude, die Werkstatt
genannt, das ansonsten auch als Kunstatelier dient, ist am Ortsrand
Rimstings rechts an der Straße Richtung Eggstätt-Gstadt zu finden,
gegenüber der Tankstelle. Die Eröffnung, besser gesagt die Einweihung
als Theater fand vor ein paar Tagen statt. Ohne Tamtam. Ohne Ansprachen.
Ohne Prominenz. Dafür aber mit einer höchst sehenswerten Aufführung.
Michael Feuchtmeir ist Maler und Schauspieler. Kein Wunder, dass
er sich zur Eröffnung seines Theaters dieses Stück ausgesucht
hat: Alessandro Barricos Novecento. Die Legende vom Ozeanpianisten .
Es ist mit Sicherheit die Eigenwilligkeit, der gewagte Wurf, die
Bildträchtigkeit dieses Stoffs, Bariccos genialische Erzählkunst,
die ihn dazu bewogen, dieses Ein-Mann-Stück auf seine selbstverlegten
Bühnenbretter zu bringen. Dass Novecento von Giuseppe
Tornatore großformatig verfilmt wurde, in opulenter Ausstattung,
mit echtem Ozeandampfer und allem drum und dran, verleiht
der originalen, monologischen Fassung zusätzlichen Reiz, auch
wenn diese zunächst wie eine Ameise neben dem kinematografischen
Elefanten erscheinen mag. Baricco schrieb das Stück1994 für
den Schauspieler Eugenio Allegri und den Theaterregisseur Gabriele
Vacis, die Uraufführung fand bei einem Festival in Asti statt.
Dessen ungeachtet sieht der Autor seine Geschichte selbst nicht
als herkömmliches Schauspiel, vielmehr als eine literarisch-szenische
Form auf halbem Weg zwischen Bühnenstück und Erzählung,
für die es wohl keinen Namen gibt.
Michael Feuchtmeir spielt denn auch die Legende von Danny
Boodman T.D. Lemon Novecento nicht im herkömmlichen Sinn, er erzählt sie
vielmehr, beschwört sie mit sparsamen, treffsicheren Gesten herauf, mit
den Mitteln der Schauspielkunst. Erstaunlich wie beeindruckend ist, in
welchem Maß ihm das gelingt: die Zuschauer werden nach und nach an Bord
der Geschichte geholt, beginnen zu sehen, was gar nicht explizit gezeigt
wird. Applaudieren, so bei der Premiere, für Musiker, die gar nicht auf
der Bühne stehen, die sie aber vermeinen zu sehen. Das Stück ist nicht
nur sehr gleichnishaft, es ist philosophisch, poetisch, ohne je in
irgendeiner Weise kitschig zu sein, witzig, fantastisch, skurril,
surreal, packend.
Michael Feuchtmeirs Stimme trägt über die ganze Dauer. Sein
hageres, bartstoppeliges Gesicht, seine Mimik wirken glaubhaft. Ein
Klavier, ein Papierschiffchen als Requisiten und geschickt eingesetztes
Licht sind alles, was er unter der Regie von Rita Aß braucht, um einen
ganzen Ozeandampfer vor dem inneren Auge des Zuschauers vorzustellen. In
Rimsting auf dem Land. Das Theater, das Spiel ist eröffnet.
Die Handlung
Im Ballsaal erster Klasse eines luxuriösen Ozeandampfers wird zu Beginn des vorigen Jahrhunderts ein Kind ausgesetzt. Ein Maschinist des Schiffes findet es, nimmt sich seiner an und gibt ihm den Namen Novecento Neunzehnhundert. Ein seltsames Schicksal ist diesem Findelkind beschieden: Novecento wird Zeit seines Lebens nicht mehr von Bord gehen. Als der sagenhafte Ozeanpianist wird er zur Legende. Seine Musik, die alle Musik der Welt ist, übt eine magische Anziehung auf alle aus, die sie hören. Erzählt wird die Geschichte in Rückblenden aus der Perspektive seines einzigen echten Freundes, eines Trompeters. Als das Schiff schließlich, als Lazarettschiff während des Krieges völlig heruntergewirtschaftet, gesprengt werden soll, bleibt der Ozeanpianist dennoch an Bord. Ein anderes Leben ist für ihn nicht vorstellbar.
Chiemgau-Zeitung 25. März 2004 Von Thomas Kraus
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